Es ist ein großer Schritt, den Karl Nehlsen am 10. Dezember 1923 wagt: Er gründet ein eigenes Fuhrgeschäft in Grohn – damals noch eine eigenständige Gemeinde vor den Toren Bremens. Mit Pferd und Wagen transportiert Karl Nehlsen für seine Kundschaft aus Grohn und umzu – wie man zu der Gegend um Bremen sagt – Sand, Kies, Steine, Möbel und Abfälle. Fünf Jahre danach sichert sich der junge Unternehmer einen folgenreichen Auftrag: Er übernimmt die Müllabfuhr für die benachbarte bremische Stadtgemeinde Vegesack. Aus dem Fuhrgeschäft wird das Entsorgungsunternehmen Nehlsen. Hundert Jahre später ist aus dem anfänglichen Einmannbetrieb mit Pferd und Wagen ein international tätiges Unternehmen geworden. Heute gehört die Nehlsen-Gesellschaft zu den Top 5 der Recyclingbranche in Deutschland und beschäftigt mehr als 3.000 Mitarbeitende in 40 Gesellschaften an rund 70 Standorten in Europa, Afrika und Asien. Eine langwährende Erfolgsgeschichte, die zum 100-jährigen Firmenjubiläum von Nehlsen 2023 noch einmal kurzweilig erzählt werden soll.
1900
Geburt Karl Nehlsen
Karl Nehlsen gründet an seinem 23. Geburtstag, dem 10. Dezember 1923, das Unternehmen. 100 Jahre später sind aus dem Ein-Mann-Betrieb ein 3000 Mitarbeitende starkes Unternehmen geworden.
Am 10. Dezember 1900 kommt Karl Nehlsen in einer Arbeiterfamilie in Grohn zur Welt. Er hat neun Geschwister, seine Eltern sind Fabrikarbeitende. Im Ersten Weltkrieg dient er als Soldat. Noch minderjährig überlebt er den Krieg und kehrt nach Grohn zurück. Am 15. Juni 1923 heiratet er Katherina Marie Luhrmann, in den kommenden Jahren bekommt das junge Paar vier Kinder: Anna Elfriede Ingeborg (1924), Hugo Dietrich Karl (1926), genannt Dieter, Karl Alfred Johann (1931) und Werner (1937).
Im Jahr seiner Hochzeit, genau an seinem 23. Geburtstag, gründet Karl Nehlsen sein Ein-Mann-Fuhrgeschäft: Der Grundstein der Firma Nehlsen ist gelegt. Fuhrunternehmer zu dieser Zeit bedeutet vor allem, Landwirt zu sein. Er muss seine Pferde versorgen, das Land bestellen und das Heu einbringen. Erst allmählich wächst sein Ein-Mann-Betrieb zu einem kleinen Unternehmen mit 15 Angestellten und mehreren Fuhrwerken. „Er war ein Pfundskerl“, erinnern sich Zeitgenossen, nach Kriegsende „sah es auf den Straßen fürchterlich aus, zerbombte Häuser und überall lagen Trümmer herum. Es war ein staubiger Job“. Aber der Chef hilft seinen Mitarbeitenden und packt selbst mit an.
Karl Nehlsen ist „ein angenehmer Zeitgenosse“. Er leitet seinen Betrieb patriarchalisch, aber familiär. Dafür sorgt nicht zuletzt seine Ehefrau Katherina, die „gute Seele“ des Unternehmens. Sie kümmert sich um die Belegschaft und kocht für die gemeinsamen Abendessen nach der Arbeit. Hier begründet sich bereits die Tradition der späteren Firma Nehlsen: familiär und fürsorglich von Anfang an!
Als sein ältester Sohn 1949 in die Firma einsteigt, zieht Karl Nehlsen sich nach und nach aus dem Unternehmen zurück. Als Seniorchef widmet er sich vor allem seinem Hobby, dem Pferd Molotov. Das freiheitsliebende Tier büxt gerne mal aus, sodass die ganze Müll-Mannschaft aktiviert werden muss, um es wieder einzufangen. Am 11. August 1968 stirbt der Firmengründer im Alter von nur 67 Jahren. Die Seniorchefin Katherina Nehlsen überlebt ihren Mann um drei Jahre und stirbt am 7. November 1971.
Duplikat der Geschäftsmeldebescheinigung des Ortsamts Vegesack, 1950. Karl Nehlsen hat sein Unternehmen genau an seinem 23. Geburtstag ins Leben gerufen. Die Schreibweise von Karl Nehlsen mit C anstelle von K war um 1900 nicht unüblich und wurde hier vom Ortsamt noch übernommen. Er selbst schreibt sich schon früh mit K.
Karl Nehlsen mit seinem Mercedes Ponton und seinem Schäferhund „Asso“, Mitte der 1950er-Jahre.
Karl Nehlsen und seine Mitarbeiter bewerkstelligen am Anfang noch durch Pferdefuhrwerke mit Spezialaufbauten ihre Arbeit.
1928
Auftragsgewinn kommunale Entsorgung Vegesack
Vor fast 100 Jahren fährt jeden Morgen der sogenannte „Goldwagen“ die Vegesacker Straßen entlang und sammelt die Fäkalien der Einwohner:innen ein. Die Fäkalien werden im Volksmund Vegesacks „Gold“ genannt. Damals werden diese noch mit Pferd und Wagen entsorgt, Karl Nehlsen setzt einen Karren speziell für den Abtransport der Fäkalien ein. Um diesen Abholservice zu nutzen, muss man eine extra Gebühr zahlen und Mülltrennung betreiben, einen Eimer für den normalen Abfall und einen für das „Gold“ – daher stammen die Begriffe „Goldeimer“ und „Goldwagen“. Der „Goldwagen“ wird kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ausgemustert, jetzt ist der Fuhrpark motorisiert, weshalb der „Goldwagen“ schon zum 50. Vertragsjubiläum 1978 nur noch den älteren Vegesacker: innen ein Begriff ist.
Vegesacks Ärger mit dem Müll – Eine große Chance für Nehlsen.
Vegesack steht als aufstrebende Stadt hoch im Kurs. Allerdings hat die Stadt im Bremer Norden ein stinkendes Problem. Die Müllbeseitigung ist schlecht organisiert.
Dass dieses Problem dort nicht neu ist, zeigt ein Artikel aus der Lokalzeitung, der von den Zuständen in Vegesack vor der Jahrhundertwende berichtet: „Nicht immer konnte man in Vegesack morgens seine Ascheneimer vor die Haustür stellen und später geleert von der Straße holen. Es gab eine Zeit; da glich die damals einzige ‚Gasse durch Vegesack‘, die alte Hafenstraße, ‚dem schlimmsten Landwege in der Marsch; von Kot und Unflat aller Art angefüllt (…)“. Die Menschen vor Ort haben sich angewöhnt, ihren Müll einfach haufenweise vor ihre Häuser zu schütten. Irgendwann soll es mal einen Bauern gegeben haben, der für einen monatlichen Obolus die Fäkalien abgeholt und auch den Müll auf seinen Pferdewagen geladen habe. Die Müllabfuhr liegt in Vegesack also – falls sich überhaupt jemand darum kümmerte – lange Zeit in den Händen privater Dienstleister. In den Genuss einer kostenlosen und regelmäßigen Müll- und Fäkalienabfuhr kommen die Vegesacker also erst 1928, dem Jahr, in dem Karl Nehlsen sich der Aufgabe annimmt.
Kurz bevor Nehlsen mit ins Boot geholt wird, ist die Stadt Vegesack selbst für die Müllabfuhr zuständig. Den Vertrag mit dem Fuhrunternehmer Hinte hatte man zum 1. Oktober 1928 „aus finanziellen Gründen“ aufgekündigt. Die Abfuhr in Eigenregie klappt allerdings mehr schlecht als recht. Ärger machen zum einen die städtischen Arbeiter, die es im November 1928 mit ihrer fraglichen Arbeitsmoral in die Zeitung schaffen: „Ganz bequem machten es sich am Mittwochnachmittag städtische Straßenfeger. Sie warfen den auf dem Utkiek zusammengefegten Schmutz und Sand einfach über die Mauer in die Weser. Es wurden 30 – 40 Schaufeln voll Erde und dergleichen gezählt, die auf diese Weise beseitigt wurden. Ob das ein richtiger und statthafter Weg ist, das dürfte mehr als fraglich sein.“
Auch die wenig vorhandene Bereitschaft der Bevölkerung, den Müll ordnungsgemäß zu trennen, bereitet Probleme. Der Magistrat wendet sich per Flugblatt an die Bevölkerung. Daraus geht hervor, Vegesack habe „infolge beengter räumlicher Verhältnisse große Schwierigkeiten, die Abfälle zu beseitigen.“ Aus diesem Grund sei es umso wichtiger, dass die Mülltrennung besonders sorgfältig erfolge. Dabei ist die Mülltrennung in dieser Zeit wenig anspruchsvoll: In zwei Eimern wird lediglich der verwesliche vom unverweslichen Müll getrennt. Papierabfälle und Kartoffelschalen können verbrannt werden, um Heizkosten zu sparen. Gerade die Kartoffelschalen werden vielfach achtlos auf die Straßen gekippt und das, obwohl sie sich bestens als Schweinefutter eignen. Es gibt also viel zu beklagen. Um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, stellt man den Bürger:innen schließlich ein Ultimatum. Tritt keine Besserung ein, sähe sich die Stadt gezwungen, die Mehrkosten, die durch eine städtische Müllsortierung im Großen anfallen würden, durch eine „besondere Gebühr für das Abfuhrwesen“ auszugleichen oder „in anderer Weise neue Steuereinnahmen“ zu schaffen. Mitteilungen wie diese sind in dieser Zeit keine Seltenheit. Sie machen deutlich, dass die Bevölkerung erst lernen muss, den Hausmüll nach einem vorgegebenen Kriterienkatalog zu trennen.
Nach nur wenigen Wochen ist für die Mitglieder des Magistrats der Stadt Vegesack eines klar: Das Abfuhrwesen soll in die Hände eines Profis gelegt werden. Auf die wenig später veröffentlichte Ausschreibung wird Karl Nehlsen aufmerksam. Er bewirbt sich mit seinem Fuhrunternehmen und erhält bereits am 23. November 1928 einen Brief vom Vegesacker Bürgermeister Wittgenstein höchstpersönlich. Dieser schreibt: „Wir nehmen Bezug auf Ihre Bewerbung vom 6. November […] wegen Übernahme des Abfuhrwesens und erteilen Ihnen hiermit unter überreichten Bedingungen das Abfuhrwesen vom 1. Dezember 1928 ab.“ Einen Tag später steht es schwarz auf weiß in der Zeitung: „Die neuerliche Ausschreibung brachte das Resultat, daß nach einem Beschluß des Magistrats nunmehr der Fuhrunternehmer Karl Nehlsen in Grohn die Abfuhr erhalten soll[…].“ Ein Meilenstein für die Entwicklung des jungen Unternehmens. Der Dauerauftrag bringt nicht nur eine gewisse planerische Sicherheit, sondern auch eine Spezialisierung mit sich. Aus dem ursprünglichen Ein-Mann-Fuhrbetrieb wird das Entsorgungsunternehmen Karl Nehlsen
Bild oben: Die tägliche Arbeit mit dem Pferdegespann.
Bild unten: Das Unternehmen wächst: Pferdegespanne und Arbeiter bei Nehlsen um 1930.
1933
Die Abfallentsorgung in Bremen im nationalsozialistischen Deutschland muss sich außergewöhnlichen Umständen unterordnen.
Die Ausrichtung des Nationalsozialismus auf Autarkie und den Weg in den Krieg bekommt ebenfalls die Abfallentsorgung zu spüren. Hier muss zum einen zwischen der Einbindung in den Krieg und zum anderen zwischen den Auswirkungen des Krieges auf die Abfallwirtschaft unterschieden werden. Die Abfallwirtschaft im Zweiten Weltkrieg unterliegt politisch und programmatisch dem Vierjahresplan, der die Wirtschaft autark machen und auf den geplanten Krieg vorbereiten sollte. Infolgedessen wird der Mülltrennung bereits ab 1936 besondere Bedeutung zugeschrieben, und die Müllentsorgungsberufe gewinnen deutlich an Aufwertung. Zur Organisation der reichsweiten Altstoffsammlung setzt Hermann Göring einen „Reichskommissar für Altmaterialverwaltung“ ein. Am 11. August 1937 wird die „Anordnung über Erfassung und Verwertung der Alt- und Abfallstoffe aus dem Müll“ erlassen. Hiermit soll erreicht werden, dass vier Prozent des städtischen Mülls recycelt werden. Ob die Zielsetzung erreicht wurde, bleibt fraglich.
Die Einbindung des Hausmülls in die Sortierungspflicht wird auch für Nehlsen eine Veränderung im Arbeitsablauf bedeutet haben. Als Entsorgungs-unternehmen mussten sie wahrscheinlich am „Recyclingprozess“ teilnehmen und den gesammelten Müll zumindest für die Sortierung zur Verfügung stellen. Wiederverwertbare Altmaterialien aus der Müllsammlung werden auch nach Kriegsbeginn als wertvoller Beitrag zu Aufrüstung und Krieg propagiert.
Tatsächlich wird der Sortierungsprozess auf Deponien aber während des Krieges vielerorts wegen Erfolglosigkeit wieder eingestellt. Faktisch ist das „Recycling“ im Nationalsozialismus eher ein ideologisches Moment als tatsächlich von wirtschaftlichem Nutzen. Veränderungen während des NS-Regimes gibt es nicht nur in der Programmatik der Abfallentsorgung. Ebenfalls verursacht es in Bremen eine strukturelle Änderung in der Müllentsorgung. Ab 1937/38 untersteht die Müllentsorgung in Bremen dem Amt für Kanalisation und Kulturbau. Strukturellen Veränderungen innerhalb der Organisation von Müllwirtschaft sind über die letzten 100 Jahre stetig vorgekommen. Viel entscheidender für die Bremer Abfallentsorgung ist die Einführung der ersten selbstaufnehmenden Kehrmaschine 1938. Unter dem Eindruck und Auswirkungen des Krieges müssen technische Hilfsmittel teils auf Treibstoff verzichten oder werden der Kriegsmaschine zugeführt. Die Entlassung von jüdischen Mitarbeitenden nach der Reichspogromnacht im November 1938 sorgt zudem für einen nachhaltigen Arbeitskräftemangel. Diese Situation verschärft sich nochmal nach Kriegsbeginn. Denn trotz der Einstufung von Abfallentsorgungsunternehmen in eine „Unabkömmlichstellung (UK)“ werden dennoch Arbeiter zum Wehrdienst abgezogen. Wie Vergleichsforschungen etwa bei der BEMAG, dem Vorläufer der Berliner Müllentsorgung BSR zeigen, werden Zwangsarbeitende im Abfallentsorgungssektor eingesetzt. Ob es auch bei Nehlsen zur Zwangsarbeit kommt, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Akten, die darüber Aufschluss geben könnten, werden zum Ende des Krieges auf Befehl des zuständigen Gauleiters vernichtet. Insgesamt liegt daher der Vermutung, dass es Zwangsarbeitende bei Nehlsen gegeben hat, kein Beweismaterial zugrunde, auszuschließen ist es aber ausdrücklich nicht.
Hilfe und Heringe
Stahlblechtonnen warten auf ihre Abholung am Bordstein.
1945
Die Nachkriegszeit
Bremen gleicht nach dem Krieg einem politischen, kulturellen und architektonischen Trümmerhaufen. Die Luftangriffe auf die Stadt zerstören das Obdach zahlloser Menschen, deren Umquartierung eine große Herausforderung darstellt. Nach dem Luftangriff vom 18./19. August 1944, der den gesamten Bremer Westen zerstört, werden die Opfer unter anderem nach Bremen-Lesum, dem Einzugsgebiet von Karl Nehlsens Unternehmen, gebracht. Das Terrain stellt zusammen mit Bremerhaven den einzigen Teil Bremens dar, der Ende des Krieges nicht von britischen Besatzungsmächten eingenommen wird. Vegesack erfährt noch am 3. Mai 1945 eine Bombardierung der Alliierten und geht entsprechend geschädigt aus dem Krieg hervor. Bremens und im Speziellen Vegesacks Einwohner:innen stehen vor massiven Aufgaben: sich neu sortieren, die Stadt wieder aufbauen und das Leben wieder aufnehmen – unter britischer Besatzung.
Bei der Zahlweise zeigt sich Karl Nehlsen kreativ:
Er zahlt seinen ersten neuen Müllwagen neben Bezugsscheinen und Reichsmark mit einem Fass Heringen!
Zeitgenössisch wird berichtet, dass die Bevölkerung den Sinn für Sauberkeit und Ordnung während des Krieges verloren habe: Auf den (Bremer) Straßen fänden sich vermehrt Zigarettenschachteln, Obstschalen und weggeworfenes Papier. Was bedeutet dieser Umstand für Nehlsen? Die Umstellung des Pferdebetriebes auf motorisierte Fahrzeuge, die schon vor Kriegsbeginn angelaufen war, spart zwar Kosten ein, sorgt aber während des Krieges wegen des Benzinmangels für Probleme. Die Straßen Bremens sind nach dem Krieg anders beschaffen als vorher, was auch für Nehlsens Dienste Herausforderungen mit sich bringt: Gebäudetrümmer liegen überall im Weg und erschweren die Arbeit. Der Schwerpunkt im Umgang mit dem Müll liegt nach dem Krieg auf der Deponierung: Dafür müssen erst mal räumliche Kapazitäten geschaffen werden. Aufgrund eines Mangels an Alternativen sammeln die Menschen ihre Abfälle nach wie vor in Behilfsbehältern wie Pappkartons und Marmeladengläsern. Erst Ende der 1940er-Jahre wird die Bremer Bevölkerung (zumindest diejenigen, die es sich leisten können) zur Einstellung dieses Verfahrens aufgerufen. Es ist nicht im Detail festzustellen, wie sehr Nehlsens Fuhrpark unter dem Krieg gelitten hat. Wahrscheinlich ist aber, dass Nehlsen, wie die meisten Fahrzeugbesitzenden, einen Teil seines Fuhrparks kriegsbedingt abgeben musste oder durch Bombeneinschläge verlor. Nach dem Krieg ist Nehlsen jedenfalls auf die zeitweise Bereitstellung eines Müllwagens durch die Stadtverwaltung Vegesack angewiesen. Auch muss er zunächst zum großen Teil wieder auf Pferdegespanne zurückgreifen. Dennoch schließt der Unternehmer bereits 1945 einen Folgevertrag mit der Vegesacker Stadtverwaltung und verpflichtet sich im Zuge dessen zu einer Beschaffung von motorisierten Spezialfahrzeugen. Bereits zwei Jahre später kann Nehlsen 1947 die Fahrzeuge, trotz schwacher Währung und allgegenwärtigen Materialmangels, vorweisen. Dies wird sogar lobend im Sitzungsprotokoll des Bauamtes Bremen-Lesum festgehalten: „Die Vertragsfirma K. Nehlsen hat sich dauernd und folgedessen auch rechtzeitig um Unterstützung und Zuweisung von Fahrzeugen bemüht. Der eifrigen Bemühung der Firma Nehlsen in Bezug auf Motorisierung der Müllabfuhr ist zu danken, da[ss] die Müllabfuhr in ihrem jetzigen Ausma[ß] durchgeführt werden kann.“
Bei der Zahlweise zeigt sich Karl Nehlsen kreativ: Er zahlt seinen ersten neuen Müllwagen neben Bezugsscheinen und Reichsmark mit einem Fass Heringen! Nehlsen investiert in seine Anlagen und erhält bereits 1946 eine Baugenehmigung für eine Autogarage an der Furtstraße und 1947 eine Baugenehmigung für eine Kraftwagenhalle. Das Geschäft floriert derartig, dass es selbst einen Ermittlungsangestellten des Bauamtes, der seinem Dienstherrn einen Bericht vorlegt, verwundert zurücklässt: „Nehlsen hat einen Garagenbau durchgeführt, in dem 5 große und 1 kleine Garage und 1 Werkstatt sind. […] Auf der entgegengesetzten Seite will Nehlsen noch Garagen dazu bauen. […] Wo die Baustoffe her sind, ist nicht bekannt. […] N. führt nicht allein den Garagenbau durch in der Furthstraße, sondern im letzten Jahre soll er auch sein Haus in der Wilhelmstraße, sowie Stallungen renoviert und umgebaut haben.“ Baumaterial ist in der Nachkriegszeit Mangelware. Die Genehmigung zur Errichtung der Kraftwagenhalle erhält Nehlsen nur, weil bei seinem Vorhaben keinerlei Baumaterialien verwendet werden müssen, die beim Wohnungsbau fehlen könnten. Auch die monatliche Pauschalvergütung, die Nehlsen für seine Dienste erhält, wird im Laufe der Nachkriegsjahre mit kleinen Ausnahmen kontinuierlich erhöht, wofür sich Karl Nehlsen stetig bei der Stadtverwaltung einsetzt. Schließlich ist aufgrund der wachsenden Einwohnerzahl Bremens und Vegesacks mehr zu tun, und die steigenden Treibstoffpreise tun ihr Übriges. Im November 1948 macht er dem Bauamt Bremen-Lesum außerdem deutlich, dass die Benzinzuteilung für seine Kraftfahrzeuge nicht mehr ausreiche, Nehlsen bittet um eine entsprechende Anpassung: „Ich bitte beim Kraftwagenpark der Hansestadt Bremen die Erhöhung meines täglichen Kontingents von 170 L auf 210 L rückwirkend ab 1. November 1948 erwirken zu wollen.“ Zu Zeiten allgegenwärtigen Benzinmangels eine durchaus selbstbewusste, aber auch notwendige Forderung. Für das Unternehmen könnte es dadurch – auch vor allem in Vergleich zu anderen präsenten Wirtschaftsbranchen Bremen, die immens unter dem Krieg und seinen Folgen leiden – also kaum besser laufen.
Sammelfahrzeug und Mitarbeiter 1946
Arbeiter im Jahr 1945
Glückszahl 23
1949
Generationenwechsel
vom Senior zum Junior
Das Jahrzehnt endet mit einigen einschneidenden juristischen und bürokratischen, aber auch persönlichen Ereignissen: Im September 1949 erhält unter den Augen des Notars Dr. Wolfgang Kulenkampff der Ingenieur Wilhelm Franz Karl Bischoff Einzelprokura.
Das Unternehmen wird schließlich als Transportunternehmen Karl Nehlsen beim Amtsgericht Blumenthal eingetragen. Im gleichen Jahr kehrt Dietrich Hugo Karl Nehlsen, genannt Dieter, der älteste Sohn von Karl Nehlsen, aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Bremen-Grohn zurück. Trotz der harten Jahre in Gefangenschaft strotzt der gelernte Spediteur nur so vor Ideen und steigt noch im selben Jahr seiner Rückkehr in das Unternehmen ein. Die 23 scheint eine Glückszahl bei Nehlsens zu sein: Zum Zeitpunkt seiner Einarbeitung 1949 ist Dieter Nehlsen damit, ebenso wie sein Vater bei seiner Unternehmensgründung, 23 Jahre jung. Seine erste Amtshandlung besteht in der Errichtung eines neuen Standbeins des Unternehmens im Güterfernverkehr. 1949 wird der erste Fernlastzug angeschafft. Für das Unternehmen erhält Dieter Nehlsen am 17. September 1949 vom Senator für die Wirtschaft eine Zulassungsbescheinigung, angemeldet wird es zum 12. Oktober. Kurze Zeit später fährt offiziell der erste Nehlsen-Bulli ins Sehnsuchtsland der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft: nach Italien.
Später Rückkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft: Dieter Nehlsen auf einem Passfoto um 1950. 1949 steigt er im Alter von 23 Jahren ins Unternehmen ein.
„Mit Umsicht und Fleiß hat Karl Nehlsen sein Unternehmen aus kleinen Anfängen zu einem beachtlichen Betrieb mit 35 Spezialfahrzeugen entwickelt“
1952
Ausbau Unternehmen /
neue Geschäftsbereiche
Die 1950er-Jahre starten für Nehlsen mit großen Veränderungen. 1950 bezieht die Firma ein neues Verwaltungsgebäude in der Furtstraße 9 in Bremen- Grohn.
Im Januar 1952 erhält Dieter Nehlsen Einzelprokura, bevor er zum 1. April 1953 die Firmenleitung übernimmt. Der erste erfolgreiche Generationen-wechsel findet bei Nehlsen also im Jubiläumsjahr, dreißig Jahre nach der Firmengründung 1923, statt. 1953 gibt es bei Nehlsen noch ein weiteres Jubiläum: Der 25. Jahrestag des ersten Entsorgungsvertrags mit der Stadt Vegesack. Zu diesem Anlass bringt die Norddeutsche Volkszeitung einen Artikel über das aufstrebende Unternehmen in Bremen-Grohn: „Die Firma Karl Nehlsen besitzt jetzt 13 Fahrzeuge und beschäftigt 25 Mitarbeiter. 2500 Kubikmeter Müll sammelt man inzwischen monatlich in Bremen-Nord.“ Dieter Nehlsen muss sich als Firmenleiter also ganz anderen Herausforderungen stellen als noch sein Vater, der das Unternehmen mit Pferd und Wagen 30 Jahre vorher und damit in einer gänzlich vergangenen Welt als Einmannbetrieb gründet.
Wachsende Müllberge – Die unschöne Kehrseite des Wirtschaftswunders.
Sich satt essen und ein Dach über dem Kopf haben – in den mageren, vom Wiederaufbau geprägten Nachkriegsjahren sind die Wünsche der Menschen bescheiden. Mit Beginn der 1950er-Jahre setzt in der Bundesrepublik Deutschland die Zeit des Nachkriegsbooms ein. Am Anfang des wirtschaftlichen Aufschwungs steht die Förderung der Industrie: Bergbau und Stahlindustrie werden aufgebaut, Maschinenbau, Chemie- und Elektroindustrie gewinnen an Bedeutung, auch die Industrieproduktion nimmt zu. Es gibt genügend Arbeitskräfte, um den Aufbau der Wirtschaft zu stemmen. Ab Mitte der 1950er-Jahre steigt auch die private Kaufkraft, während gleichzeitig die Lebenshaltungskosten stagnieren. Zusätzlich sinken durch die Massenfertigung von Konsumgütern die Preise. Der Wohlstand regt den Konsum an, und ein regelrechter Kaufrausch entsteht. Ehemals unerschwingliche Waren wie Radios, Fernseher oder Waschmaschinen werden zu Verkaufsschlagern. Die Kehrseite der Medaille? Infolge des Wirtschaftsbooms in den 1950er und 1960er-Jahren entsteht eine riesige Abfallflut. Immer mehr Produkte schwemmen auf den Markt und bislang lose verkaufte Waren erhalten in den aufkommenden Supermärkten nun eine aufwendige Verpackung. Die auf den Wohlstand zurückgehende Konsumwelle produziert eine nie dagewesene Menge an Müll.
Das Auto als Statussymbol: In den 1950er-Jahren nimmt die Motorisierung in der Bundesrepublik zu.
Die Nehlsen Belegschaft auf einem geschmückten Mercedes, frühe 1950er-Jahre.
Nehlsens „Goldwagen“ ist noch nicht Geschichte
In den 1950er-Jahren geht die großstädtische Entwicklung von Bremen-Nord stetig voran. Rund 400 Kilometer Straßennetz sind kanalisiert. Für die Wartung und Reinigung der Kanäle investiert das Bremer Amt für Kanalisation und Abfuhrwesen 1955 in ein damals hochmodernes Spezialfahrzeug: einen viereinhalb Tonnen schweren Borgward-Schlammsaugwagen. Der Weser Kurier berichtet:„Die Vertragsfirma K. Nehlsen hat sich dauernd und folgedessen auch rechtzeitig um Unterstützung und Zuweisung von Fahrzeugen bemüht. Der eifrigen Bemühung der Firma Nehlsen in Bezug auf Motorisierung der Müllabfuhr ist zu danken, da[ss] die Müllabfuhr in ihrem jetzigen Ausma[ß] durchgeführt werden kann.“ Obwohl für die Kanalisation in Bremen-Nord seit 1951 rund 2,5 Mio. DM ausgegeben worden sind, herrschen 1955 in den verschiedenen nordbremischen Ortsteilen zum Teil noch ziemlich primitive sanitäre Verhältnisse. Und so fährt der alte „Goldwagen“ von Nehlsen nach wie vor zweimal wöchentlich durch die Straßen von Vegesack. Die Männer von der Fäkalienabfuhr steuern früh morgens, wenn die Straßen noch menschenleer sind, rund 150 Vegesacker Haushalte an. Dabei sind alle Straßen, an denen Häuser ohne WC liegen, eigentlich seit Jahrzehnten kanalisiert. Und so geht die vorsintflutliche Fäkalienabfuhr erst mal munter weiter.
Größer, schneller, weiter? Nicht immer!
Die ersten Pläne für einen Fuhrpark scheitern
Dieter Nehlsen, der später als „Unternehmertyp alten Schlags“ bezeichnet wird, stellt sich der neuen Zeit mit Elan und krempelt die Ärmel hoch. Um dem rasanten Abfallanstieg gerecht zu werden, stellt er neue Mitarbeitende ein und rüstet den Firmenfuhrpark auf. Er packt selbst mit an, wendet sich seinen Mitarbeitenden zu und zeigt sich auch neuen Geschäftsfeldern gegenüber offen. So beschreibt ihn sein Neffe und heutiger Aufsichtsratsvorsitzender von Nehlsen und Eigentümer der Nehlsen-Gruppe, Peter Hoffmeyer, rückblickend. In den 1950er-Jahren kann seine Firma das Einsatzgebiet ihrer Müllabfuhr weiter ausbauen. 1954 verlängert Nehlsen den Vertrag mit dem Bremer Senator für das Bauwesen (mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 1959) um weitere fünf Jahre. Zu diesem im Vertrag festgesetzten Entsorgungsgebiet, welches den gesamten Raum Bremen-Nord umfasst, kommt ebenfalls 1954 ein Vertrag mit der Gemeinde Schwanewede hinzu. Nehlsen verpflichtet sich auch hier, den anfallenden Hausmüll wöchentlich beziehungsweise in den Sommermonaten 14-tägig abzufahren und die dafür benötigten Fahrzeuge und Mitarbeitenden selbst zu stellen. Für seine Dienste in Schwanewede erhält Nehlsen monatlich 150 DM. Nehlsen möchte außerdem weiter expandieren und plant die Errichtung eines Fuhrparks auf einem städtischen Grundstück Ecke Vegesacker Heerstraße. Im Juli 1957 wird der Antrag vom Bauamt des Ortsamtes Vegesack allerdings zugunsten einer Grünanlage abgelehnt. Dafür vergrößert sich zum 1. April 1959 das Abfuhrgebiet Nehlsens durch einen Vertrag mit der Gemeinde Osterhagen-Ihlpohl, die 1.800 Einwohnende zählt, nochmals beträchtlich. Nehlsen beschäftigt jetzt knapp 30 Mitarbeitende. Der Fuhrpark besteht jetzt aus sechs Müllwagen, vier Lkws mit Kippeinrichtung, zwei Fernlastzügen und zwei Motorsaugwagen.
1953
Wirken Ilse Nehlsen
Ilse Nehlsen wird als Ilse Siedenburg am 12. Januar 1926 geboren. Wie ihr Mann Dieter kommt auch sie aus einer Bremer Fuhrunternehmerfamilie. Kennengelernt haben sich die beiden daher fast schon folgerichtig auf einem Fuhrunternehmerball. Ilse schließt die höhere Handelsschule ab und greift ihrem Mann im Unternehmen ab 1953 unter die Arme.
Ilse Nehlsen im Mai 1984 beim Spatenstich für die Müllumschlaganlage in Pennigbüttel-Nord.
Ilse Nehlsen stammt, wie Ihr Ehemann Dieter, aus einer Bremer Fuhrunternehmerfamilie. Die beiden lernen sich auf einem Fuhrunternehmerball kennen.
Dabei beweist sie unternehmerisches Geschick und Einfallsreichtum. Sie kümmert sich nicht nur um das Rechnungswesen, sondern gründet auch eine Autovermietung mit ihrem Privatauto, um finanzielle Schwierigkeiten im Unternehmen zu überbrücken. Als Geschäftsfrau ist sie geradlinig, resolut und zupackend. Ihr Wort hat Gewicht und große Entscheidungen werden nie ohne sie getroffen. Sauberkeit und Ordnung sind ihr wichtig. Wenn die Krawatte morgens nicht sitzt, gibt es schon mal eine Schelte. Die Familie besitzt für Ilse Nehlsen einen hohen Stellenwert. Am Wochenende geht sie mit den Nichten und Neffen zum Werder Bremen-Spiel. Sie ist gesellig, lustig, zuvorkommend und kann sehr gut kochen – ihr Frankfurter Kranz ist in der Familie legendär! Das Ehepaar Nehlsen bleibt kinderlos. „Familie“, das sind für sie aber auch das Unternehmen und die Mitarbeitenden. „Der Winterdienst hat manchmal viel Kraft gekostet. Wir liefen hinter dem Fahrzeug mit einer Schaufel hinterher, um das gefrorene Eis zu entfernen. Sehr schön war es da, wenn Ilse Nehlsen anschließend für uns kochte und dann auch mitgegessen hat“, erinnert sich Müllwerker Jan Strohmidel. Als „guter Geist des Hauses“ hält sie den Betrieb am Laufen, und wenn der Adventskranz brennt, bringt Ilse Nehlsen ihn selbst vor die Tür. Auch wenn sie dafür selbst in Brand gerät und sowohl Kranz als auch Chefin mit einer Fußmatte in Windeseile gelöscht werden müssen!
Die Firmenfeiern sind ihr ein besonderes Anliegen. Sie werden stets mit großer Sorgfalt und Liebe von ihr organsiert. Und es muss gefeiert und getanzt werden! Wer sitzen bleibt, wird von ihr zugeteilt, wodurch sie auch schon mal die Ehevermittlerin spielt. Nach dem Fall der Mauer fördert sie den Austausch zwischen Ost und West. Sie organisiert Ausflüge nach Dresden und lädt Mitarbeitende aus den ostdeutschen Niederlassungen nach Bremen ein, damit sich die Menschen kennenlernen. Als das Unternehmen wächst, regiert sie vermehrt im Hintergrund. Nun ist auch mehr Zeit für Urlaub, und zusammen mit Dieter genießt sie die jährlichen Reisen mit der MS Europa. Nach dem Tod ihres Mannes 1995 übernimmt sie zusammen mit ihrem Neffen Peter Hoffmeyer als Gesellschafterin die Geschäftsführung in der Holding und erhält 2001 den Vorsitz im Aufsichtsrat. Am 20. August 2017 stirbt die Seniorchefin und Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats der Nehlsen AG im Alter von 91 Jahren. „Meiner Tante und meinem Onkel gilt mein ganz besonderer Dank. Denn ganz bestimmt wären wir ohne die beiden heute nicht das, was wir sind“, fasst es Peter Hoffmeyer zusammen.
Nach dem Tod seines Vaters Karl 1968 führt Dieter Nehlsen zusammen mit seiner Frau Ilse das Unternehmen zum Erfolg.
1968
Der Firmenvater Karl Nehlsen stirbt: Tod eines Pioniers
Der strahlende Sommer im August 1968 wirft einen schweren Schatten: Viel zu früh verstirbt am 11. August mit 67 Jahren der Firmengründer Karl Nehlsen.
Zum Tod des Fuhrunternehmers erscheint im Weser Kurier eine Meldung, in der Nehlsen für sein Lebenswerk geehrt wird: „Mit Umsicht und Fleiß hat Karl Nehlsen sein Unternehmen aus kleinen Anfängen zu einem beachtlichen Betrieb mit 35 Spezialfahrzeugen entwickelt.“ Die Leitung des Unternehmens liegt zu dieser Zeit bereits seit 15 Jahren in den souveränen Händen von Sohn Dieter Nehlsen. Dennoch bleibt der Verlust des hochgeschätzten Firmengründers Karl Nehlsen ein einschneidendes Ereignis in der Unternehmensgeschichte. Mit dem Tod des Pioniers geht eine Ära zu Ende.
Katherina Nehlsen stirbt nur wenige Jahre nach ihrem Mann im November 1971. Aus dem Ein-Mann-Fuhrunternehmen ist auch dank der Unterstützung der Seniorchefin, die als liebenswert und ausgleichend beschrieben wird, ein großes Unternehmen geworden.
Eine stolze
Bilanz
1973
50 Jahre im Dienst des
Umweltschutzes
Gleich zwei Mal begeht Nehlsen in den 1970er-Jahren ein 50-jähriges Jubiläum. 1973 jährt sich die Gründung des anfänglichen Einmannbetriebs zum 50. Mal. 1978 folgt der 50. Jahrestag des Vertragsabschlusses über die Abfallbeseitigung mit der Stadt Vegesack.
Das 50. Geschäftsjubiläum ist ein besonderes Ereignis, Firmenchef Dieter Nehlsen kann auf eine stolze Bilanz seines Schaffens zurückblicken. Seit dem Generationenwechsel in der Geschäftsführung hat sich die Firma zu einem der bedeutendsten Abfalldienstleister im norddeutschen Raum entwickelt. Sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch der Fuhrpark haben sich vervielfacht. Über 200 Mitarbeitende und um die 100 Fahrzeuge sind täglich für Nehlsen im Einsatz. Die Firma kümmert sich um die Müllentsorgung der umliegenden niedersächsischen Gemeinden, hat Niederlassungen in Brake, Loxstedt und Osterholz-Scharmbeck. 1972 gründet Dieter Nehlsen zusammen mit anderen Unternehmen in Westoverledingen im Landkreis Leer die Gesellschaft für Müll und Abfall (GMA, ab 2008 aufgeteilt in Nehlsen AWG GmbH & Co. KG und Nehlsen Cloppenburg GmbH & Co. KG), die erste größere wirtschaftliche Aktivität von Nehlsen im Gebiet Nord-West. In Bremen-Grambke betreibt Nehlsen seit 1976 einen eigenen Werkstattdienst. Um die Vielfalt der Aufgaben erfüllen zu können, unterteilt Firmenchef Dieter Nehlsen das Unternehmen in drei autonome Firmen, die die drei Standbeine Müllabfuhr, Städtereinigung und Güterfernverkehr abdecken. Die Nehlsen-Städtereinigung KG übernimmt Gewerbe- und Industrieentsorgungen sowie Kanalreinigungsdienstleistungen, Nehlsen-Lastzüge sind mittlerweile auch außerhalb der deutschen Grenzen unterwegs. Das Unternehmen präsentiert sich zudem auf dem damals neuesten Stand der Abfalltechnik. Ganz nach dem Firmenmotto: Innovation hat bei Nehlsen Tradition.
Der 50. Firmengeburtstag wird am 10. Dezember 1973 in der Vegesacker Strandlust mit einem Empfang gefeiert. Damit aber nicht genug. Das Firmenjubiläum ist für Nehlsen ein Anlass, um mit einer kleinen Geldspritze Gutes für Bremen-Nord zu bewirken. Rund 10.000 DM gehen an die drei Ortsämter (Vegesack, Blumenthal und Lesum), die das Geld in Bänke und Sträucher am Wanderweg Oeversberghang sowie in Neuanschaffungen für zwei Altentagesstätten investieren. Aber auch das fünf Jahre spätere Vertragsjubiläum mit der Stadt Vegesack ist für die Firma Nehlsen ein bedeutender Tag. Herr Haslop, damals kaufmännischer Leiter bei Nehlsen, liefert dafür in seinem Festvortrag die passenden Worte. Um diese langjährige Geschäftsverbindung zu ehren, macht die Firma Karl Nehlsen der Stadtgemeinde Vegesack ein großzügiges Geschenk. Die Stadt erhält einen Scheck über 30.000 DM. Verwendet wird das Geld für einen Brunnen. Der Bremer Bildhauer Bernd Altenstein gestaltet 1979 die Brunnenskulptur, die den alten Vegesacker Marktplatz an der Reeder-Bischof-Straße bis heute schmückt. Für wohltätiges Engagement stößt man bei Nehlsen immer auf ein offenes Ohr. Dabei gilt jedoch die Maxime: „Tue Gutes und rede nicht darüber!“
„Als die Firma Karl Nehlsen vor genau fünf Jahren ihr 50-jähriges Geschäftsjubiläum feiern konnte, war das sicherlich, wie jedes Jubiläum dieser Art, ein besonderes Ereignis. Wenn wir heute aber das Bestehen eines vor 50 Jahren geschlossenen Vertrages festlich begehen, so scheint mir das mehr – eben wie auch eine Goldene Hochzeit mehr ist als ein 50. Geburtstag. Weil zwei dazu gehören.“
Ilse Nehlsen (Mitte) und ihr Mann Dieter Nehlsen (rechts) beim Anstoßen 1973
in der Strandlust mit (v.l.n.r.) Ortsamtsleiter Fritz Piaskowski, dem Leitenden
Baudirektor Dr. Ing. Walter Benedickt und Oberbaurat a. D. Arnold Ehlert.
Recycling ist „in“!
1970er
Für andere ist es Müll, für Nehlsen ist es Rohstoff
In den 1970er-Jahren werden zwei Begriffe in der Abfallwirtschaft besonders populär: Abfallvermeidung und Recycling.
Denn im Müll sind wertvolle Rohstoffe enthalten, die wiederverwertet werden können. Glas, Papier, Metalle und Kunststoffe können bei entsprechender Sortierung und Aufbereitung dem Recycling-Kreislauf zugefügt werden. Für die Firma Nehlsen eröffnet sich dadurch ein ganz neues Wirtschaftsfeld. Eine Herausforderung, der sich Geschäftsführer Dieter Nehlsen gerne stellt. Einmal mehr kann das mittelständische Unternehmen seine Flexibilität und Innovationskraft beweisen. Anfangs beschränkt sich das Recycling auf Glas und Papier. Seit dem Siegeszug der Einwegflasche gibt es mehr und mehr Altglas. Wohin mit den leeren Flaschen? Was für uns heute selbstverständlich ist, stellt die Verbraucher:innen Mitte der 1970er-Jahre vor eine Herausforderung. In der Not, um den Abfalleimer nicht zum Überlaufen zu bringen, greifen manche sogar zum Hammer, um das Glas zu zertrümmern. Eine zwar platzsparende, aber auch nicht ungefährliche Lösung. Um der Verschwendung von Ressourcen entgegenzuwirken, lässt Nehlsen im Einzugsgebiet des Unternehmens Container für Altglas aufstellen.
Als Nehlsen 1975 in Osterholz-Scharmbeck zwei Großbehälter für die Sammlung von Altglas platziert, ist das für die dortige Bevölkerung ein Novum und dem „Osterholzer Kreisblatt“ eine Meldung wert. „Die Bürger können jetzt ihren Hausmüll kostenlos um die leeren Flaschen und gebrauchten Gläser reduzieren, allerdings ohne Verschlüsse und Deckel, bitte“, wird Dieter Nehlsen dort zitiert. Zu diesem Zeitpunkt existieren in Bremen bereits zehn Container, in Bremen-Nord sogar zwölf – und die Anzahl soll noch steigen. Endlich gibt es eine Lösung für das Altglas-Problem: Flaschen, Einweck- und Marmeladengläser oder Fruchtsaftflaschen – alles kann bequem in Nehlsens Containern entsorgt werden. Der Service ist für die Bevölkerung kostenlos. Und das, obwohl die Aktion für Nehlsen an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit liegt. Nach Abzug der Kosten für die Anschaffung der Container, die Bereitstellung und den Abtransport bis zur Fahrt zur Recyclingstation Glashütte bleibt für das Unternehmen kaum etwas übrig. Ein Preis, den Nehlsen im Angesicht der Rohstoffknappheit und dem Schutz der Umwelt zuliebe damals trotzdem bereit ist, zu zahlen.
1976
Entsorgung von gefährlichem Abfall und die Plump GmbH
Nehlsen beginnt bereits Mitte der 1970er-Jahre damit, sich mit der Abfuhr und Beseitigung von gefährlichem Abfall einen neuen Geschäftsbereich aufzubauen.
Das Unternehmen trifft damit den Nerv der Zeit. Durch verschärfte Umweltschutzvorschriften sind immer mehr Unternehmen dazu gezwungen, eine Lösung für die Beseitigung von gefährlichen Produktionsrückständen zu finden. Nehlsen kooperiert in diesem Bereich mit dem Bremer Traditionsunternehmen C. F. Plump GmbH. Plump kann selbst auf eine lange Geschichte zurückblicken. 1884 gegründet, beschäftigt sich das Unternehmen mit der Herstellung und dem Handel von Mineralölen und Mineralölprodukten. In den 1970er-Jahren wird man auch hier mit der Frage nach der fachgerechten Beseitigung ölhaltiger und flüssiger Abfälle konfrontiert. Auf dem Betriebsgelände an der Bremerhavener Straße in Bremen-Walle startet Plump die ersten Gehversuche auf dem Gebiet der Entsorgung. Diese Tätigkeit verläuft so erfolgreich, dass der Firmeninhaber Hans Schipper das Geschäft ausweiten will. Zusammen mit Dieter Nehlsen erwirbt man unter Mithilfe der Stadt Bremen ein 25.000 Quadratmeter großes Grundstück an der heutigen Louis- Krages-Straße. Der Geschäftsbetrieb wird nach der Gründung der C. F. Plump Gewässerschutz GmbH offiziell am 12. November 1976 aufgenommen. Die Firma Nehlsen Städtereinigung hält 50 % der Anteile. Nehlsen und Plump kümmern sich fortan gemeinsam um eine möglichst umweltneutrale Entsorgung von Sonderabfällen. Die ersten größeren Kunden sind die Klöckner-Werke und die Mercedes-Benz AG mit ihren Standorten in Bremen.
Müllwerker bei der Arbeit: Auch das Kerngeschäft Entsorgung gehört
nach wie vor zum Aufgabengebiet bei Nehlsen.
1978
Willkommen in der Wesermarsch!
Die 1970er-Jahre laufen für Nehlsen insgesamt nicht schlecht: Für die 1975 gegründete Niederlassung Wesermarsch erwirbt das Unternehmen bereits 1978 ein neues Betriebsgelände. Das brandneue Gebäude in der Otto-Hahn-Straße im Norden von Brake wird 1980 zur Nutzung freigegeben.
„Von hier aus werden in freundlich ausgestatteten Räumen 24 Arbeitskräfte und elf Spezialfahrzeuge – davon fünf für die Abfuhr von Hausmüll – eingesetzt“, berichtet die Oldenburgische Unterweserzeitung. Eine freudige Entwicklung. Angefangen hatte man mit einem Team aus sechs Mitarbeitenden für die Abfuhr in Brake, Elsfleth und Ovelgönne. Bis auf wenige Gemeinden, die ein Geschäftspartner bedient, betreibt Nehlsen 1980 die Müllabfuhr fast überall in der Wesermarsch. Dementsprechend gewachsen ist der Fuhrpark. Auf dem neuen Betriebsgelände steht dafür eine eigene Halle zur Verfügung, in der die Spezialfahrzeuge gewartet und gepflegt werden. Die Zusammenarbeit mit dem Landkreis Wesermarsch funktioniert gut: „Nach einem halben Jahrzehnt kann eine reibungslos funktionierende Zusammenarbeit […] konstatiert werden. […] Die Abfuhr klappt und die Landschaft ist sauber“, berichtet die Zeitung weiter. Darüber hinaus wird das wachsende Potenzial von Nehlsen als lokaler Arbeitgeber wertgeschätzt.
Nehlsen ist überall!
1980er
Saugwagen, Sortieranlagen und systematische Schiffsmüllentsorgung
In den 1980er-Jahren wird Recycling zum alles bestimmenden Thema für die Abfallbranche und bei Nehlsen Programm: Das Unternehmen sammelt Glas und Papier, um die Abfälle einer Wiederverwertung zuzuführen.
Schon bald sind den Menschen in Bremen und Niedersachsen die neuen großen grün-weißen Transporter, die das Altglas und -papier aus den allerorts aufgestellten Containern abholen, ebenso vertraut wie schon Nehlsens Müllfahrzeuge. Und auch eine neue Generation an Spezialfahrzeugen wie zum Beispiel Saugwagen und Transporter für gefährlichen Abfall von Nehlsen erscheinen auf den Straßen. Was man auf den Straßen nicht sieht, sind die vielen Einrichtungen, die Dieter Nehlsen erbauen lässt. Mit dem Bau von Sortier- und Kompostieranlagen füllt Nehlsen den Gedanken des Recyclings mit Leben. Dem Schutz der Meere und dem Leben unter Wasser dient die systematische Schiffsmüllentsorgung, die Nehlsen in den Bremer Häfen einführt. Im Jahr 1988 erfolgt der Umzug in das neue Verwaltungsgebäude, da mit der Expansion nicht mehr ausreichend Büroräume zur Verfügung stehen.
Werbebroschüren aus dem Ende der 1980er-Jahre.
1990er
Von Norden über den Osten
bis in die ganze Welt
Die 1980er-Jahre enden politisch mit dem Mauerfall und damit mit einem freudigen Ereignis, das auch für Nehlsen vieles verändert. Anfang der 1990er-Jahre investiert Dieter Nehlsen so viel wie nie zuvor.
Es entstehen neue Niederlassungen zwischen Rügen und dem Erzgebirge. International engagiert sich Nehlsen bereits seit 1988 in Angola, Aktivitäten in den osteuropäischen Ländern und in Asien kommen hinzu. Zudem wird Nehlsen Partner des Dualen Systems Deutschland, das den „Grünen Punkt“ für Plastikverpackungen und deren Entsorgung einführt, und gründet 1995 mit fünf weiteren mittelständischen Unternehmen das Gemeinschaftsunternehmen ZENTEK. Das neue und Abfallgesetz tritt 1996 in Kraft und verdreifacht die zu entsorgende Abfallmenge durch die Erweiterung des Abfallbegriffs. Trabbis, Spreewaldgurken und Co. – die DDR lebt mehr als 30 Jahre nach den bewegenden Szenen an der Berliner Mauer am 9. November 1989 nur noch in Erinnerungen. Für die Firma Nehlsen bricht in den Jahren nach der Wiedervereinigung eine unternehmerisch aufregende Zeit an. Nie zuvor hat das Unternehmen so viel gewagt und investiert wie in den neuen Bundesländern. Eine Verbindung in die Deutsche Demokratische Republik gibt es in Bremen schon vor dem Mauerfall. Die Stadt unterhält seit 1987, quasi von Hansestadt zu Hansestadt, eine Städtepartnerschaft mit Rostock. Auf dieser Basis wird Nehlsen angefragt, der Stadt Rostock unter die Arme zu greifen. Neue Konzepte für die Müllentsorgung müssen entwickelt werden. Nehlsen willigt ein, und am 2. Januar 1990 fahren Peter Hoffmeyer und Dieter Kühl das erste Mal nach Rostock. Die innerdeutsche Zusammenarbeit klappt gut. Es wird angepackt – ob an einer Werft oder bei der Entsorgung eines kompletten Bunkers von Erich Honecker. Für den damaligen Prokuristen bei Nehlsen, Eberhard Rast, ist es eine Reise zurück in die Vergangenheit. Er wird von Dieter Nehlsen in seine Geburtsstadt Dresden geschickt. „Auf Grund meiner Sprachkenntnisse“, wie er sich schmunzelnd erinnert. Was zunächst als innerdeutsche Hilfeleistung gedacht war, entwickelt sich innerhalb von wenigen Monaten zum Geschäft. Die ersten Verträge werden unterschrieben: Das Abenteuer Ostdeutschland beginnt. Dieter Nehlsen ist vorausschauend und bestellt Müllwagen und Materialien, um in Mecklenburg- Vorpommern und Sachsen neue Niederlassungen zu gründen. Das Risiko zahlt sich aus: Nehlsen wächst in dieser Zeit explosionsartig. Hat das Unternehmen 1979 noch ca. 240 Mitarbeitende, so sind es 1999 schon 3.500. Wie sah es denn vor dem Fall der Mauer aus in puncto Abfall? In der DDR ist die Abfallwirtschaft Mitte der 1980er-Jahre noch auf einem ganz anderen Level als in der Bundesrepublik. Der Müll geht auf die Deponie. Damit endet die Geschichte.
„Jeder Bürgermeister hat irgendwo ein Loch gesucht, wo er seinen Müll hinschmeißen kann“, beschreibt Lutz Siewek, heute Prokurist von Nehlsen, die Lage. 1985 zählt die staatliche Arbeiter- und Bauerninspektion 7.400 wilde Deponien in der DDR, auf denen zum Teil auch Giftmüll lagert. Die Abfallentsorgung erfolgt unregelmäßig, manchmal auch gar nicht. Der Müll landet in 110 Liter-Ringtonnen. Ein Kraftfahrer und zwei Produktionsmitarbeiter fahren auf einem LIAZ – so heißt der tschechische Nutzfahrzeughersteller – mit dem die Tonnen abgeholt werden. Allerdings sind die Ringtonnen knapp. Nicht selten teilen sich mehrere Parteien einen Behälter. Das heißt, die Mülltonnen in der DDR sind immer voll. Und das, obwohl in der DDR weitaus weniger Verpackungsmüll anfällt – im Durchschnitt landen damals zwei Drittel davon weniger im Müll als in Westdeutschland. Im Abfallwesen der DDR ist vieles veraltet, kaputt und dementsprechend erneuerungsbedürftig. Auch die Arbeitsstruktur im Büro. Computer und Kopiergeräte müssen neu eingeführt werden. Aber nicht alles ist schlecht. Bereits vorhanden sind zum Beispiel spezielle Annahmestellen für Glas, Papier und Metalle. Allerdings wurde das Recycling-System weniger der Umwelt zuliebe eingerichtet. Durch den Devisenmangel ist man schlicht und einfach auf die Wiederverwertung der Rohstoffe angewiesen. Nach der Wende wird die ehemalige DDR mit Verpackungsmüll überflutet. Industrie und Handel entdecken die neuen Bundesländer als Markt. Den Massen an Verpackungsmaterial ist die überalterte staatliche Müllentsorgung aber nicht gewachsen. Für Nehlsen eine Herausforderung: Anfang der 1990er investiert das Unternehmen daher kräftig in neue Niederlassungen. 1990 gründet Dieter Nehlsen die N & F Entsorgungs GmbH in Neubrandenburg (jetzt Umweltdienste Barth) und Nehlsen & Dathe Entsorgungs GmbH in Dresden sowie 1991 die Nehlsen & Wassermann Entsorgungs GmbH (jetzt Nehlsen Heizkraftwerke GmbH & Co. KG). Alle Firmen waren bereits vorher in den jeweiligen Regionen tätig gewesen und werden später von Nehlsen komplett übernommen. Zwischen Rügen und dem Erzgebirge werden die grünweißen Fahrzeuge von Nehlsen zum gewohnten Bild. Bald gibt es in den neuen Bundesländern sogar mehr Nehlsen-Beschäftigte als in Bremen und Niedersachsen! Aber nicht alles läuft glatt. Auf dem Weg bis zur Etablierung einer funktionierenden gibt es auch einige Pannen: Müllfahrzeuge in Rostock kollidieren mit der Straßenbahn und weil eine Papierpresse fehlt, muss das Altpapier monatelang in drei angemieteten Scheunen zwischengelagert werden. Seitdem hat sich viel getan. Viele Deponien der ehemaligen DDR werden geschlossen und rekultiviert. Und Nehlsen expandiert weiter, am 21. Oktober 2022 eröffnet im ostsächsischen Kamenz auf 48.000 Quadratmetern eine hochmoderne Anlage. 5,2 Mio. Euro investiert Nehlsen in den neuen Standort. Es ist der fünfte Standort für Nehlsen allein in Sachsen.
1995
Die Familie Nehlsen wird erschüttert
Der Tod einer außergewöhnlichen Unternehmerpersönlichkeit
Die Aufbruchstimmung der frühen 1990er wird jäh gebremst: 1995 beendet der Tod viel zu früh die außergewöhnliche Schaffenskraft von Dieter Nehlsen. Ein neues Kapitel der Firmengeschichte wird aufgeschlagen. Nun müssen die Geschicke des Unternehmens Nehlsen neu geordnet werden. Ilse Nehlsen, die seit jeher an der Seite von Dieter Nehlsen eine wichtige Kraft im Unternehmen ist, und ihr Neffe Peter Hoffmeyer übernehmen als Gesellschafter:innen die Geschäftsführung in der Holding und bündeln die Aktivitäten der inzwischen zahlreichen Tochtergesellschaften.
Ein großer Verlust: Dieter Nehlsen stirbt 1995 im Alter von 68 Jahren. Fortan werden die Geschicke bei Nehlsen von seiner Ehefrau Ilse Nehlsen und seinem Neffen Peter Hoffmeyer gelenkt.
Portrait Peter Hoffmeyer
Von der Pike auf gelernt hat Peter Hoffmeyer, was in seinem Unternehmen Thema ist: als Müllwerker fängt er 1974 bei seinem Onkel Dieter Nehlsen im Unternehmen an. Mit Sondergenehmigung, denn er ist damals erst 15 Jahre alt. 1959 in Bremen Walle geboren, ist sein beruflicher Werdegang bereits familiär geprägt und geplant. Als Kind fährt er schon auf dem Müllwagen mit. Im Unternehmen durchläuft er verschiedene Stationen, bis er nach dem Abitur nach West-Berlin geht. Dort studiert er Umweltingenieurswesen und will eigentlich noch promovieren. Das Thema steht schon fest: Behandlungsmethoden für organischen Abfall. Doch das Familien-unternehmen ruft: 1986 wird er von Dieter Nehlsen ins Unternehmen geholt. Tatkräftig arbeitet er daran, den Horizont des Unternehmens zu erweitern. 1988 geht er nach Angola und erarbeitet für die Millionenstadt Luanda ein Konzept, um die Stadt vom Müll zu befreien. Diese Erfahrung ist wegweisend für Nehlsens Einsatz in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung, wo Peter Hoffmeyer von Anfang mit dabei ist. Als Dieter Nehlsen krank wird, nimmt Peter Hoffmeyer seinen Platz ein und führt ab 1995 zusammen mit Ilse Nehlsen die Geschäfte in der Holding. Sein Engagement in den nächsten Jahren bedeutet für das Unternehmen einen sehr starken Ausbau im In- und Ausland. Besonders am Herzen liegen ihm Themen der Nachhaltigkeit und ökologischen Innovationen.
Durch Technisierung, Zentralisierung und Gestaltungswillen bringt er Nehlsen nach vorne. Frei nach dem uneitlen Motto: „Ich packe gerne an. Ich mache auch Fehler, aber stehe auch dazu.“ zieht er aus den vielen Erfolgen, aber auch den wenigen Misserfolgen Lehren für die Zukunft seines Unternehmens. Dabei ist er eher strategisch-analytisch und nicht operativ. Seine Handschrift im Unternehmen ist der persönliche Kontakt zu allen Mitarbeitenden auf Augenhöhe. Mit seiner Frau Sabine hat er fünf Kinder: Johannes, Paul, Carl, Louise und Jacob. Peter Hoffmeyer kocht gerne und gut und hegt, wie schon sein Onkel Dieter Nehlsen, eine Leidenschaft für Autos – nicht nur für Mercedes, sondern heimlich auch für Porsche. Im Frühjahr führt es ihn daher manchmal zur Rügenclassics, Deutschlands größter Inselrallye für Oldtimer. Trotzdem kann man ihn auf dem Weg ins Büro auch öfter mal auf dem Fahrrad antreffen. Mit 60 Jahren zieht sich Peter Hoffmeyer ein Stück aus dem Unternehmen zurück. Das Ruder reicht er an seine zwei ältesten Söhne, Johannes und Paul Hoffmeyer, weiter. 2020 wechselt er als Vorstand in den Aufsichtsrat der Nehlsen AG. Für Peter Hoffmeyer steht auch nach 100 Jahren Erfolgsgeschichte fest: Nehlsen wird auch in Zukunft groß, stark und gut sein.
Nehlsen
International
Nehlsen blickt auch über den eigenen Tellerrand. Weltweit hat das Unternehmen in den letzten 30 Jahren viele Projekte im Bereich Abfallentsorgung und Recycling durchgeführt.
Zu Fuß durch Luanda – der Start in Angola.1988 beginnt eine besondere Zusammenarbeit in der Nehlsen-Geschichte: Das Unternehmen übernimmt den Auftrag für den Aufbau und die Modernisierung der Müllabfuhr in Luanda. Zustande kommt das Projekt durch einen Zufallskontakt mit einem Bremer Schiffsmakler. Es folgen zwei intensive Wochen, in denen die Delegation um Peter Hoffmeyer die Stadt erkundet – zu Fuß. Damals beherbergt Luanda bereits zwei Millionen Menschen. Alle bisherigen Versuche, der Müllsituation Herr zu werden, sind gescheitert. Zu diesem Zeitpunkt gibt es in Luanda seit 20 Monaten keine funktionierende Müllabfuhr: In dem 200 Fahrzeuge umfassenden Fuhrpark der Müllabfuhr sind gerade nur noch sieben fahrtüchtig. Die Lage ist kritisch. Es wird überlegt, wie das Thema Müllbeseitigung mit der professionellen Unterstützung von Nehlsen nochmal ganz neu angegangen werden kann. Aus den anfänglichen Überlegungen wird eine konkrete Zusammenarbeit. Nehlsen entwickelt ein first emergency city cleaning program. Wenig später werden grün-weiße Entsorgungsfahrzeuge in Schiffsbäuche verladen. Über Monate hinweg befreit das Team einzelne Stadtteile von Schutt und Sand, bevor überhaupt eine funktionierende Müllabfuhr aufgebaut werden kann. 1.200 Mitarbeitende vor Ort werden geschult – ein Projekt der Hilfe zur Selbsthilfe entsteht. 35 Jahre später ist Nehlsen immer noch aktiv vor Ort, obwohl Bürgerkriege und politische Instabilität die Möglichkeiten erheblich einschränken. Müllabfuhr und Recycling werden in kleinerem Rahmen noch betrieben. Die positive Erfahrung war für Nehlsen wegweisend und auch wesentlich für den Einsatz in Ostdeutschland nach der Wende. „Angola hat für das Unternehmen bewirkt, dass man seinen Horizont erweitert und über den Tellerrand guckt“, erinnert sich Peter Hoffmeyer heute. In den 1990er-Jahren beschränken sich die nur auf die Projekte im Südwesten Afrikas.
Fahrzeugverschiffung nach Afrika aus dem Geschäftsbericht des Jahres 2000.
Von Null auf 100: Nehlsen baut in Angola ein funktionierendes Entsorgungssystem auf. Dafür müssen zunächst auch solche grundlegenden Elemente wie Deponien errichtet werden, auf die die Menschen vor Ort ihren Müll hin transportieren können. Bis dahin herrschen in der damals über 15 Millionen Einwohner:innen starken Stadt ungeordnete Müllabfuhrverhältnisse. Jens Bruns (2. v. l.) und Peter Hoffmeyer (3. v. l.) mit Mitarbeitern in Luanda, um 1998.
Horst Poppe (links) ist im Bereich Werkstatt im Projekt Emergency City Cleaning in Luanda als Teil des Rodiek/Nehlsen-Teams tätig. Ziel sind der Aufbau und Betrieb einer Werkstatt für eine Flotte von ca. 100 Abfallsammelfahrzeugen des Kommunalbetriebs in Luanda. Das Team besteht neben Horst Poppe aus Peter Hoffmeyer, Jens Bruns und Werner Thomsen. Auch nach Renteneintritt bleibt er Nehlsen treu und unterstützt bis zu seinem Tod im Jahr 2011 bei Projekten.
1998
75 Jahre
Nehlsen
Rund 1.600 Mitarbeitende und 800 Spezialfahrzeuge kümmern sich um die ganze Palette der zeitgemäßen Entsorgungstechnik und transportieren Haus- und Gewerbemüll, Wertstoffe, organische Abfälle und Sondermüll. In dieser Situation wird das familiengeführte Unternehmen neu geordnet. Die Holding Nehlsen GmbH & Co. KG entsteht, in der sämtliche Tochtergesellschaften mit ihren operativen Aktivitäten gebündelt werden. Auch mit fachfremden Dienstleistungen versucht das Unternehmen zu punkten: Die 1998 gegründete NFG Nehlsen Flugzeug-Galvanik Dresden GmbH & Co. KG (heute als Nehlsen-BWB Flugzeug-Galvanik Dresden GmbH Teil der Panta Re AG) besitzt im Bereich der Flugzeugteile-Beschichtung ihre Expertise. Zusammen mit der Jakob Becker GmbH & Co. KG kauft Nehlsen für einen symbolischen Euro eine Spezialanlage für Munitionsentsorgung in Steinbach bei Görlitz, die E.S.T. GmbH Entsorgungsanlagen Betriebsgesellschaft mbH, um das Know-how für die fachgerechte Entsorgung von Airbags zu erlangen, in denen ebenfalls anteilig Sprengstoffe enthalten sind. Hintergrund für diese Aktivitäten ist, für jeden Kundschaftswunsch eine passende Lösung parat zu haben. Das 75. Jubiläum wird ausgiebig gefeiert: „Tradition ist uns wichtig“, betont Peter Hoffmeyer, und so wird auch dieses Jubiläum natürlich in der Strandlust begangen. Geladen sind neben Senatspräsident Dr. Henning Scherf auch Oberkreisdirektor Hans-Dieter v. Friedrichs, Ortsamtsleiter Rainer Kammeyer und der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungswirtschaft Gerhard Scheele. Eine ganz besondere Aktion hat sich Nehlsen für die Jubiläumsfeier ausgesucht: Statt Geschenken wird um eine Spende für das Kinderhilfswerk Friedehorst, eine Stiftung mit Einrichtungen für ältere und behinderte Menschen, ein Berufsförderungswerk und ein neurologisches Rehabilitationszentrum für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gebeten. So kommen am Ende des Abends stolze 30.000 DM, heute über 15.000 Euro, zusammen.
Im Juni 1998 wird der Vertrag zwischen Nehlsen und der Stadt Bremen zur Übernahme der Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB) unterzeichnet. (v. l. n. r.: Notar Dr. Jörg Zimmer, swb-Vorstandsvorsitzender Gerhard Jochum, Peter Hoffmeyer, Umweltsenatorin Christine Wischer, Vorstandsvorsitzender der RWE Entsorgung Dr. Richard Klein, Senator für Finanzen Hartmut Perschau.)
Auf in die Stadt
1998
Die Privatisierung der Bremer Müllabfuhr
Das Jahr 1998 beginnt mit einer harten Nuss für Nehlsen, die sich aber als ein weiterer Meilenstein und gleichzeitig als eines der bedeutendsten Ereignisse in der Unternehmensentwicklung ausweist. Auslöser ist die Privatisierung der Bremer Müllabfuhr. Gemeinsam mit einigen anderen mittelständischen Unternehmen gelingt es Nehlsen, den Abfallbereich der Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB) zu übernehmen. Zum 1. Juli 1998 werden die Entsorgungslogistik und Reinigungsdienstleistungen in die Entsorgung Nord (ENO) überführt – mit Nehlsen als Teilhaber. Die Beteiligung an der BEB ist eine der bis dato schwierigsten Entscheidungen, die Nehlsens geschäftsführender Gesellschafter Peter Hoffmeyer für das Unternehmen zu treffen hat. Eine Nichtbeteiligung hätte für das Entsorgungsunternehmen jedoch ein ebenso großes Risiko bedeutet. 600 Arbeitsplätze, die Nehlsen zu diesem Zeitpunkt allein in Bremen beschäftigt, wären bedroht gewesen, wenn ein auswärtiger Konkurrent den städtischen Müllentsorgungsbetrieb gekauft und die Verträge mit den Nordbremer Abfallbeseitigern aufgekündigt hätte – ein Horrorszenario. Für Nehlsen ist der Weg in die Stadt und der Einstieg bei den BEB ein enormer unternehmerischer Schritt, mit dem das familiengeführte Unternehmen geschäftlich in eine neue Liga aufsteigt. Das grün-weiße Nehlsen-Logo ist von nun an in ganz Bremen zu sehen.
Neue Standorte in Leer, Emden und Groningen
2020
Metallrecycling als neues Geschäftsfeld
Im Jahr 2020 eröffnet sich Nehlsen ein ganz neues Geschäftsfeld. Am 1. Juni übernimmt die Nehlsen AG die INTERSEROH Evert Heeren GmbH mit den Standorten Leer und Emden sowie deren bisherige Tochterfirma ALBA Metall Recycling Nederland B.V. mit Sitz in Groningen von der ALBA Group.
Von nun an werden sämtliche Geschäfte rund um die Metallaufbereitung unter den neuen Namen Nehlsen E. Heeren GmbH sowie deren Tochtergesellschaft Nehlsen Metaal Recycling B.V. ausgeführt.
Mit dieser Entscheidung erweitert Nehlsen sein Leistungsportfolio um das Recycling von Metallen und Stahlschrotten und betritt damit einen lukrativen Markt. „Diese Übernahme markiert einen wichtigen Meilenstein in unserer Unternehmensgeschichte und bietet uns die Möglichkeit, unsere Marktposition sowohl in der Region als auch in unserem Angebotsportfolio auszubauen, zu stärken und uns optimal für die Zukunft aufzustellen“, erklärt Oliver Groß, Vorstandsvorsitzender der Nehlsen AG.
Mit dem neuen Standort in Leer, der über einen eigenen Zugang zum Schienennetz und einen Anschluss zum Schiffsverkehr verfügt, sowie einem weiteren Standort in Emden, baut Nehlsen die regionale Stärke in Ostfriesland weiter aus. Mit dem Standort in Groningen erweitert das Unternehmen erstmals sein Geschäft in Richtung Niederlande. „Dadurch ergeben sich bedeutende Synergieeffekte für alle anderen in Ostfriesland ansässigen Gesellschaften der Nehlsen AG“, so der Vorstandsvorsitzende. Mit neuer Kompetenz und neuen Standorten kann Nehlsen von nun an noch komplexere Dienstleistungen anbieten.
Das Jubiläumsjahr 2023
100 Jahre Nehlsen – das muss gefeiert werden! Als großen Festakt zum 123. Geburtstag von Karl Nehlsen und der 100. Geburtsstunde des Unternehmens am 10. Dezember 2023 gibt es eine Gala bei Nehlsen, zu der Kundschaft, Wegbegleitende und Wettbewerber: innen geladen sind.
Sondergast ist der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Darüber hinaus wird natürlich in den Regionen gefeiert: Für alle Mitarbeitenden gibt es jeweils in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen eine weihnachtliche Hundertjahrfeier. Denn bei Nehlsen geht es um die Menschen: „Wenn man sich einfach mal anschaut, wo wir herkommen, vom Kutschentransport bis zu hochtechnisierten Anlagen, das geht auf jeden Fall nicht mit einer One-Man-Show“, betont Timo Krause, Geschäftsführer der Nehlsen Consulting GmbH & Co. KG. Auch im Jubiläumsjahr gilt für Nehlsen: Es bleibt familiär. In Bremen arbeiten teilweise schon mehrere Generationen innerhalb einer Familie mit Nehlsen zusammen. Die Schlachterei Bunkenborg in Bremen Vegesack beispielsweise unterhält schon 1929 Geschäftsbeziehungen mit Nehlsen, und Enkelin Claudia Bunkenborg gehört seit 1994 zur Nehlsen-Gruppe. Familie Hoffmeyer wird auch weiterhin das Unternehmen führen, zwar ist Oliver Groß seit dem 1. Januar 2020 Vorstandsvorsitzender der Nehlsen AG, und Peter Hoffmeyer wechselt in den Aufsichtsrat von Nehlsen, aber seine zwei ältesten Söhne, Johannes und Paul Hoffmeyer – und damit die vierte Generation der Gründungsfamilie – wachsen bereits als Geschäftsführer und Prokuristen in das Unternehmen
hinein.
„Buten und binnen, wagen und winnen“ – Auch in den kommenden Jahren wird es bei Nehlsen innovativ vorangehen. Das Selbstverständnis
soll sich ändern, wünscht sich Timo Krause: „Wir sind nicht mehr nur klassischer Transporteur und Entsorger, sondern auch vollfunktionsfähiger Berater.“ Das Thema Nachhaltigkeit wird zukünftig einen großen Schwerpunkt einnehmen. Nehlsen will internationaler Rohstoffhändler für Recyclingrohstoffe werden. „Das Unternehmen hat sich 100 Jahre lang immer wieder selbst neu erfunden, sonst wäre es heute gar nicht mehr da“, stellt Lutz Siewek fest. Das wird auch weiterhin so sein, allerdings solide und ohne Höhenflüge. „Es geht nicht um Größe und Wachstum, sondern um Inhalte“, so Lutz Siewek. Und wo wird die Zukunft des Unternehmens örtlich und inhaltlich stattfinden? „Nehlsen ist in 10 Jahren immer noch in Bremen“, betont Peter Hoffmeyer, „aber die Arbeit wird durch die Kreislaufwirtschaft hier weniger werden.“ Die Ziele verschieben sich. „Mehr Recycling machen als Abfall produzieren“, fasst er Nehlsens Ziel in den nächsten Jahren zusammen. Mit grünem Strom grüne Kunststoffe erzeugen und exportieren, das wünscht er sich für die Zukunft.